Geistlicher Impuls vom 10.01.2023

Wie sieht man mich?

Mann_Spiegel (c) Bild von Gerd Altmann auf pixabay.de
Datum:
Di. 10. Jan. 2023
Von:
Christiane Hartung

Soeben habe ich ein Buch gelesen, das mich sehr nachdenklich gemacht hat. Eine Journalistin, die weiß, dass sie eine Kolumne für eine Zeitschrift schreiben muss findet im Paris der 1980er Jahr ein Adressbuch auf der Straße. Bevor sie es dem Besitzer zuschickt kopiert sie die Seiten mit den Einträgen und Adressen.

Sie hat die Idee einige der notierten Adressaten für ein Gespräch über den ihr unbekannten Inhaber einzuladen und sich in diesen Gesprächen dem Unbekannten zu nähern.

Der Versuch gelingt nicht immer, der ein oder andere möchte nicht mit ihr sprechen, oder kann sich an den Adressbuchinhaber nicht erinnern.

Doch es gibt auch Menschen, die bereit sind mit ihr zu sprechen. Jeder, jede Interviewte wird gebeten zu erzählen wann und wo er oder sie den Adressbuchinhaber kennengelernt hat, und wie dieser zu charakterisieren sei, oder was es zu ihm zu sagen gibt.

So entsteht für die Journalistin und auch für den Leser mit und mit ein Bild dieses Unbekannten.

Soweit so gut. Was ich mich wirklich frage ist, wie würde ich reagieren, wenn mir so etwas widerführe. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich plötzlich und unerwartet in einem Magazin diese persönlichen Interviews über mich lesen würde?

Wäre ich empört, wie der Adressbuchinhaber?

Würde ich mich freuen, da die Aussagen über mich doch eher positiv, oder völlig neutral gewesen wären?

Würde ich den Kontakt zum ein oder anderen abbrechen, weil es mich so getroffen hat, ich es als einen Vertrauensbruch sehen würde?

Ich weiß nicht, wie ich letztlich reagieren würde.

Doch im Erinnern an das letzte Sonntagsevangelium könnte ich die Situation recht gelassen sehen. Gott spricht uns Menschen zu, dass wir seine geliebten Kinder sind, dass wir ihm nichts beweisen müssen, dass vor ihm alle Menschen gleich sind.

Aus diesen Worten spricht Hoffnung und Zuversicht. Vertrauen wir darauf.

Die Krippe wird abgebaut.
Die Engel, die Hirten, die Könige
werden in ihre Schachteln gelegt.
Obenauf Maria und Josef.
Zum Schluss das Kind.

Weggeräumt. Weggeschlossen.
Bis zum nächsten Jahr.
War es das schon? Was bleibt?
Was bleibt uns
vom Knaben im lockigen Haar?

In den Mittelpunkt rückt wieder
der Wanderprediger,
der umherzieht, um den Menschen
die Frohe Botschaft vom Reiche Gottes
in Wort und Tat zu verkünden.

Dort, wo die Krippe stand,
wird schließlich das Kreuz aufgerichtet,
später die Osterkerze.
So schließt sich der Kreis
von der Geburt bis zur Auferstehung.

Jahr für Jahr
vergegenwärtigende Erinnerung,
erinnernde Gegenwart
der für alle Zeit geltenden
Heilszusage unseres Gottes.

Gisela Baltes, www.impulstexte.de, In: Pfarrbriefservice.de

(Von welchem Buch ich sprach: Sophie Calle, Das Adressbuch, Suhrkamp Verlag)

Es grüßt sie ganz herzlich aus dem Seelsorgeteam der GdG Stolberg – Süd

Marion Meurer, Gemeindereferentin